Mehr als Paprika, Palatschinken und Plattensee - als Fachschaftsberaterin für Deutsch in Veszprém

"Nach Ungarn?" so fragten mich viele Kolleginnen und Kollegen mit großem Erstaunen. "Ja, nach Ungarn!" antwortete ich ohne zu zögern. Einem durchschnittlichen Deutschen fallen zu Ungarn meistens nur einige Wörter, die mit "P" beginnen, ein: Paprika, Palatschinken, Piroschka, Puszta, Plattensee, Palinka, Pannonien und zunehmend die Politik und die Presse. Darüber hinaus wird behauptet, dass die ungarische Sprache vom Leibhaftigen im Vollrausch ersonnen wurde.

Seit August 2014 bin ich nun als Fachschaftsberaterin für Deutsch als Fremdsprache am ungarischen Lovassy-László-Gymnasium in Veszprém - 120 Kilometer von der Metropole Budapest entfernt - tätig. Mein Aufgabengebiet umfasst neben dem Deutschunterricht an dieser Schule auch die Betreuung, Organisation und Durchführung der Deutschen Sprachdiplomprüfungen (DSD II) in weiteren Schulen Westungarns. Außerdem bin ich Jurorin bei diversen Schülerwettbewerben, dazu gehören Jugend debattiert Mittel-, Ost- und Südosteuropa, Lesefüchse International sowie Rezitationswettbewerbe.

Zu meinem weiteren Betätigungsfeld gehören Fortbildungen der ungarischen und durch die ZfA aus Deutschland vermittelten Deutschlehrkräfte, besonders die Hinführung zu digitalen Tools. Von immer größer werdendem Interesse ist auch die Studien- und Berufsberatung. Hier bin ich dabei, Kontakte zwischen deutschen Universitäten und ungarischen DSD-Schulen aufzubauen. Sehr beliebt sind die Schnupperwochen für Schülerinnen und Schüler und ungarische Lehrkräfte in Deutschland.

Einen typischen Schulalltag kenne ich nicht, es ergeben sich immer wieder Situationen, in denen Flexibilität, Kreativität und Spontanität gefragt sind. Sei es kurzfristig - am besten gestern - Tabellen und Umfragen auszufüllen oder Pläne der Kulturabteilung der Deutschen Botschaft in Budapest zu unterstützen z.B. bei Aktionen zum Tag der Deutschen Einheit.

Es ist noch zu erwähnen, dass es in Ungarn eine deutschsprachige Minderheit gibt. Ca. 150.000 bis 200.000 Donauschwaben, die im 18. Jahrhundert angesiedelt wurden, leben hier und pflegen die deutsche Sprache und ihre Traditionen. Deswegen unterstütze und begleite ich die Projekte zur Förderung der deutschen Sprache und Kultur, die von der ZfA finanziert werden.

Es ist wirklich toll, wie gut hier in Ungarn die Zusammenarbeit mit den unterschiedlichsten Partnern funktioniert und wie respektvoll miteinander umgegangen wird.

Aus dem Schulleben des Lovassy-László- Gymnasiums

Das Lovassy-László-Gymnasium ist die älteste Schule der Universitätsstadt Veszprém (70.000 Einwohner) und ist laut nationalem Ranking das beste Gymnasium Ungarns. Die Schule beruft sich auf eine jahrhundertelange Tradition der Piaristenschulen, weil sie bereits 1711 vom Bischof János Ottó Volkra gegründet wurde.

Nach einer 8-jährigen Grundschulzeit haben die Schülerinnen und Schüler nach bestandenen Aufnahmeprüfungen die Möglichkeit, in diesem Gymnasium zu lernen und die Reifeprüfung abzulegen. Heute besuchen ca. 600 Schülerinnen und Schüler die Klassen 9 – 12. Einen Klassenzug bilden die sogenannten Nationalitätenklassen, also die Schüler der ungarndeutschen Minderheit.

Die Klassengröße variiert zwischen 30 und 36 Schülerinnen und Schülern. Die Klassenräume sind technisch hervorragend ausgestattet (Beamer, Smartboard, Internet). Für die Pausenverpflegung hält das "Büfe" (Kiosk) ab morgens ein reichhaltiges und von allen geschätztes Angebot bereit. Schülerinnen und Schüler, die nicht in der Umgebung wohnen, werden in Schülerwohnheimen untergebracht und versorgt. Nachmittags gibt es unterschiedliche "Zirkel" (Arbeitsgemeinschaften). Die Teilnahme daran ist freiwillig. Pflicht hingegen ist jedoch für die Schülerinnen und Schüler bis zum Abitur 50 Sozialstunden abzuleisten. Außerdem müssen sie jede Woche fünf Stunden Sport treiben. Da dies natürlich logistische Probleme für jede Schulorganisation bereitet, finden an Samstagen Wanderungen durch die hügelige Landschaft Westungarns statt. Die Schule kümmert sich auch um die Gesundheit der Jugendlichen und verpflichtet sie zum jährlichen Zahnarztbesuch.

Bilder aus Veszprém

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Der feierliche Auszug aus der Schule - Ballagás Quelle: Melanie Wrede

Das Lernen der Schülerinnen und Schüler besteht überwiegend im rezeptiven Bereich. Das ungarische Notensystem umfasst lediglich fünf Noten. Mit der Note "5" wird eine sehr gute Schülerleistung bewertet. Wer fleißig lernt, bekommt schnell eine 5, bei einer 3 kann schon mal der Haussegen schief hängen. Eine 2 oder 1 wird sehr selten erteilt. Denn die hiesigen Schülerinnen und Schüler geben meistens wirklich ihr Bestes, um einen guten Schulabschluss zu bekommen und danach einen begehrten Studienplatz zu ergattern. Viele erwägen auch die Aufnahme eines Studiums in Deutschland oder Österreich.

Aber nicht nur das Lernen prägt das schulische Leben, sondern auch zahlreiche Feste, Feiern, Gedenkveranstaltungen jeglicher Art. Besondere Höhepunkte im Schuljahr sind z.B. "Ballagás", der Schwabenball und der Abschlussball. Zu besonderen feierlichen Anlässen tragen die Mädchen Rock und eine Bluse mit Matrosenkragen, die Jungen einen Anzug. Natürlich sind auch die Lehrerinnen und Lehrer dementsprechend festlich gekleidet.

Es ist wirklich beachtlich, mit wieviel Engagement meine ungarischen Kolleginnen und Kollegen "ihre" Schülerinnen und Schüler bis zum Abitur begleiten und unterstützen. Ebenfalls wird akzeptiert hin und wieder am Samstag zu arbeiten, um einen Brückentag zu Feiertagen auszugleichen.

Wie lebt es sich nun in dieser Kleinstadt, die europäische Kulturhauptstadt 2023 wird?

Ich genieße mit meinem Mann das ruhige Leben am Rande der Stadt. Die Schule erreiche ich nach einer halben Stunde Fußweg. Die Freizeit verbringen wir mit Ausflügen in die Umgebung, zum Beispiel zum Plattensee, der nur 14 Kilometer entfernt ist. Auch die niedlichen Ausflugslokale laden zum Verweilen ein. Besonders viel Spaß macht die frühsommerliche Lavendelernte.

Einen Nachteil birgt allerdings das Leben in der Provinz: der Zugang zur ärztlichen Behandlung für privatversicherte deutsche Beamte ist extrem kompliziert. Es stellt das hiesige Gesundheitswesen vor große Probleme eine Rechnung für die Private Krankenversicherung und die Beihilfe auszustellen, weil wir keine europäische Versicherungskarte haben. Es ist praktisch unmöglich ohne diese Karte die örtlichen, staatlichen Gesundheitszentren aufzusuchen. Auch insgesamt ist das Gesundheitssystem nicht mit dem Deutschlands vergleichbar.

Nichtsdestotrotz ist der Einsatz im Ausland vielseitig, spannend und abwechslungsreich. Er verlangt aber gleichzeitig viel Kreativität, Improvisations- und Organisationstalent. Man muss bereit sein, sich auf die fremden Kulturen einzulassen und die fremden Sprachen zu lernen, um mit ungewohnten Situationen umgehen zu können. Jedoch ist auch eine Portion Selbstvertrauen, robuste Gesundheit, Humor und eine starke Persönlichkeit nötig. Dann kann nichts schief gehen, und man wird dafür mit vielen positiven Erfahrungen belohnt.

Melanie Wrede

Melanie Wrede arbeitet seit dem Jahr 2014 als Fachschaftsberaterin für Deutsch als Fremdsprache am Lovassy László Gimnázium in Veszprém.

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Stand 25.11.2020