Erinnerungskultur: Archivrecherche in Berlin

Ende Februar begab sich die Klasse 12 der Ernst-Reuter-Schule in Ankara auf historische Spurensuche deutscher Emigranten in die Türkei.

Die Aufgabe der elf Schülerinnen und Schüler lautete: Für "Erinnern für die Gegenwart" historische Recherchen an außerschulischen Lernorten durchführen. Begleitet wurden sie von ihrer CAS (Creativity, Action, Service im Programm des International Baccalaureat)-Lehrerin, Asli-Bahceci-Volkaner und ihrem Geschichtslehrer, Dr. Daniel Georg Bauer. Ziel des Projektes ist die Untersuchung der Lebenswege deutschsprachiger Emigranten wie zum Beispiel Ernst-Reuter, Eduard Beckstein, Edith Weigert und Eduard Zuckmayer sowie der Kinder anderer Exilanten, die in einem privaten Kreis unterrichtet wurden. Damit geht eine erinnerungskulturelle Aufarbeitung im schulischen Kontext einher.

Dokumente zum Namenspatron der Schule

Zur Einstimmung in die geschichtliche Thematik erfolgte nach Ankunft in der Hauptstadt am 23. Februar zuerst ein historischer Stadtrundgang zur deutsch-deutschen Geschichte Berlins. Am nächsten Tag begann die Forschung zur Geschichte der Deutschen Botschaftsschule (Ernst-Reuter-Schule) in Ankara: Das Ernst-Reuter-Archiv - angeschlossen an das Landesarchiv Berlin - ermöglichte den Jugendlichen das Stöbern auch in noch unregistrierten Beständen.

Vorgelegt wurden den Schülerinnen und Schülern aussagekräftige Dokumente zum Leben und der Familie Ernst-Reuters, dem Namenspatron der Deutschen Schule in Ankara. Der frühere Oberbürgermeister Magdeburgs ging nach seiner Amtsenthebung durch die Nationalsozialisten und zweimaliger Konzentrationslager-Haft 1935 ins türkische Exil. Ende 1946 kehrte Ernst Reuter nach Deutschland zurück und wurde im Juni 1947 zum Berliner Oberbürgermeister gewählt.

An meterdicken Tresormauern vorbei

Der ganztägige Archivaufenthalt in dieser "Werkstatt der Historiker" ermöglichte es, das Schicksal deutscher Exilanten in Ankara zu ergründen und Rückschlüsse auf die Beschulung der Exilantenkinder wie zum Beispiel von Edzard Reuter, Sohn Ernst Reuters zu ziehen. Der 1928 geborene spätere Vorstandsvorsitzende der Daimler-Benz AG verbrachte seine Kindheit von 1935 bis 1946 in der Türkei. Besonders interessant fanden die Nachwuchswissenschaftler den archivpädagogischen Zugang mit seiner methodischen Vielfalt bei der Arbeit am originalen Material. Am nächsten Tag ging es in den Katakomben des politischen Archivs des Auswärtigen Amtes an meterdicken Tresormauern vorbei zu Aktenschränken, in denen sich Unterlagen zur Geschichte der Deutschen Schule seit ihrer offiziellen Gründung im Jahr 1952 verbergen.

Die Schülerinnen und Schüler bekamen Einsicht in wichtige Dokumente aus den Beständen des Kulturreferats; unterlegt mit feinsinnigen Anekdoten der bundesdeutschen Diplomatie. Gekrönt wurde die Forschungsexpedition durch eine Gesprächsrunde mit Reiner Möckelmann, dem Autor von "Wartesaal Ankara: Ernst Reuter - Exil und Rückkehr nach Berlin". Der ehemalige deutsche Diplomat in Ankara und Istanbul erzählte über die Entstehung seines Werkes und lieferte wichtige Hinweise für das Gelingen des Projektes. 

Historisches Material und kreative Anregungen

Am 26. Februar reisten die Schülerinnen und Schüler zurück. Eingepackt hatte das junge Forscherteam nicht nur historisches Material, sondern auch eine Fülle kreativer Anregungen. Als Ergebnis dieser Berlinreise sowie der vorangegangenen geschichtlichen Aufarbeitung des Themas entstehen nun in der heimischen Werkstatt unter anderem ein Sammelband und eine kleine Dauerausstellung zum Projektthema.

Quelle: Dr. Daniel Bauer, Projektleiter an der Deutschen Schule Ankara

Das Projekt wird gefördert im Rahmen des Wettbewerbs "Erinnern für die Gegenwart". Deutsche Auslandsschulen und Deutsch-Profil-Schulen setzen sich mit ihrer Schulgeschichte und dem historischen Umfeld der Schule auseinander. Wie hat man sich verhalten gegenüber Kolonialismus, Nationalsozialismus, Diktatur oder Menschenfeindlichkeit? Ziel ist, Erinnerungskultur, Toleranz und Demokratieverständnis zu stärken und auch auf heutige Formen der Diskriminierung aufmerksam zu machen. Schülerinnen und Schüler sind an der Projektentwicklung zentral beteiligt.

"Erinnern für die Gegenwart" ist eine Initiative von Bundesaußenminister Heiko Maas und wird umgesetzt von der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung und der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ).

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Stand 19.03.2020