Usbekistan - wo liegt das bitte?

So oder ähnlich reagiert so ziemlich jeder, der den Namen dieses Landes das erste Mal hört. Auch ich, als ich mich das erste Mal nach Zentralasien aufmachte, um als Bundesprogrammlehrer in der Hauptstadt Taschkent Deutsch als Fremdsprache zu unterrichten. Zugegeben, ich war jung und ich brauchte das Geld…

Über seine Erfahrungen aus Samarkand berichtet Kai Neitzke:

Nun, zehn Jahre später als gestandener Beamter im niedersächsischen Schuldienst sah meine Motivationslage etwas anders aus: Raus aus vorgegebenen Bahnen, die Arbeit durch eigene didaktische Vorstellungen prägen anstatt andersherum. Flexibilität war eine der in der Stellenbeschreibung verlangten Eigenschaften, und so erfuhr ich nach der Zusage, dass meine Stelle von der Hauptstadt in das eher provinzielle Samarkand verlegt wurde - ob ich die Stelle denn noch immer haben möchte... Klar, sich im Bewerbungsgespräch als unheimlich flexibel darstellen und in der Praxis kneifen kam für mich nicht in Frage.

Lieblingssofa, Lehrbücher und einen 30 Jahre alten Honda-Roller im Gepäck

Ich kaufte mir von der Übersiedlungspauschale ein altes Wohnmobil samt Hänger und verfrachtete alles Notwendige für Usbekistan: Lieblingssofa, Lehrbücher und einen 30 Jahre alten Honda-Roller. Schließlich hatte ich durch meinen ersten Aufenthalt vor zehn Jahren genaue Vorstellungen darüber, woran es mir wahrscheinlich mangeln wird.

Nur damit wir uns verstehen: An materiellen Annehmlichkeiten gibt es alles in Usbekistan, wonach es den anspruchsvollen Ausländer gelüstet - doch darum ging es nicht. Ich bin eher der praktische Mensch: Und wer will schon jedem neuen Taxifahrer jeden Morgen dieselbe Lebensgeschichte im Taxi erklären müssen, dann lieber individuell mit dem eigenen Roller zur Schule fahren. Das Sofa war das Stück Heimat, das mir einfach nötig erschien.

Als Lehrer kann man hier einiges bewegen

Nach ca. 6.500 Kilometern Fahrt mit meinem alten, aber sehr unkompliziert von jedem Straßenmechaniker zu reparierenden Dieselstinker stand ich Anfang August in Samarkand. Die große Seidenstraße... Basare... zauberhafter Orient... damit werden in der Saison die kulturell interessierten Touristen vom Typ "pensionierter Lehrer" alljährlich nach Usbekistan gelockt. Doch das waren nicht meine Gründe, hier zu arbeiten. Ich wusste, dass man in Usbekistan als Lehrer noch einiges bewegen kann und dafür viel Dankbarkeit zu spüren bekommt, sowohl von usbekischen Kollegen als auch von den Schülern.

Meine Kolleginnen und Kollegen sind immer sehr motiviert bei unserer wöchentlichen SCHILF (schulinterne Lehrerfortbildung). Denn wie wir alle wissen, ist nicht jeder studierte Germanist automatisch ein guter Lehrer. Dieses zusätzliche pädagogische Wissen ist es, was mein Kollegium permanent in den Fortbildungen oder während einer Hospitation in einer meiner Stunden aufsaugt. Das Tolle daran ist: Ich als vermittelter Deutschlehrer kann den Ausbau des Sprachdiplom-Projekts gestalten, merke, an welcher Stelle mehr getan werden muss und kann eigenständig entscheiden, auf welche Weise unsere gemeinsamen Vorstellungen für einen modernen Deutschunterreicht am besten verwirklicht werden können.

Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir

Im täglichen Unterricht fehlt mir allerdings das Instrument der Notengebung. Warum? Usbekische Schüler sind es gewohnt, für Auswendiglernen gute Noten zu bekommen. Das verträgt sich freilich nicht mit dem Format des Deutschen Sprachdiploms, wo ja Wert auf lebendige Kommunikation und ausgearbeitete Argumente gelegt wird. So ereignet sich jedes neue Schuljahr dasselbe Spiel in meinem Unterricht: Ich bekomme eine neue Abschlussklasse ein dreiviertel Jahr vor der DSD-Prüfung und muss die Schüler erstmal mit den Anforderungen des DSD vertraut machen. Nach der ersten Ernüchterung verstehen sie jedoch, dass in unserem Unterricht Wert auf andere Kompetenzen gelegt wird, als sie es in ihren anderen einheimischen Fächern gewohnt sind.

Danach steigt die Motivation der Schüler erfahrungsgemäß an - eine Motivation, die sich nicht aus Noten speist, sondern aus Interesse an gut gemachtem Sprachunterricht mit Themen, die allein schon durch ihre Andersartigkeit große Augen bei meinen Schülern hervorrufen. Da bekommt der alte Spruch "Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir" wieder seine ganz konkrete, alltägliche Bedeutung.

Ob mein pensionierter Kollege im vorbeifahrenden Touristenbus diese Erfahrungen auch machen durfte? Ich glaube nicht. Und schon dafür lohnt es sich, in den Auslandsschuldienst zu gehen. Je weiter weg, desto besser.

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Stand 18.05.2020