Drei Monate Onlineunterricht - Ein persönlicher Erfahrungsbericht

"Wie jetzt? Wir müssen unsere Schülerinnen und Schüler ab nächste Woche über ein Videokonferenz- Programm unterrichten? Aber wie soll das denn funktionieren?!" Das war meine erste (panische!) Reaktion als es im März dieses Jahres hieß, dass in der Türkei wegen der Corona-Pandemie alle Schulen schließen und man auf Fernunterricht übergehen müsse. Und ich war mit dieser Reaktion nicht allein im Lehrerzimmer. Obwohl doch zumindest die Hardware-Voraussetzungen an den IELEV Schulen gegeben waren und sind: Alle Kolleginnen und Kollegen verfügten über ein iBook, alle Schülerinnen und Schüler ab der 5. Klasse hatten auch schon zuvor ein iPad.

Was dann folgte waren zweifellos die stressigsten Frühjahrsferien, die ich in meiner Lehrerlaufbahn je hatte: In den vorgezogenen einwöchigen Ferien gab es rund um die Uhr von der IT-Abteilung der IELEV Erziehungsstiftung Fortbildungen in Sachen Zoom und Tools für’s Online Teaching. Außerdem mussten die Online-Stunden für die erste Woche vorbereitet werden - Stoff, den man bisher analog im Klassenzimmer vermittelt hatte, musste nun von Grund auf neu verarbeitet werden. Leider ließ mich die Menge an neuen Informationen und neuen Aufgaben nun nicht unbedingt ruhiger und gelassener werden.

Bilder aus Istanbul

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Drei Monate Online-Unterricht Online-Lehrerin Katrin Fast bei der Arbeit Quelle: IELEV Schule/ Erziehungsstiftung

Schon lange nicht mehr so aufgeregt vor einer Schulstunde

Und dann war es soweit: Der erste Schultag auf Online-Basis, und damit der große Test, ob alles, was man in der Theorie gelernt hatte, auch in der Praxis funktionieren würde. Ich muss zugeben, dass ich vor einer Unterrichtsstunde schon lange nicht mehr so aufgeregt war. Was mich dann wiederum umso mehr verwundert hat, war der Fakt, wie schnell diese neue Situation zur Normalität wurde: Schon nach wenigen Tagen Online-Unterricht fuhr man jeden Morgen mit einer absoluten Selbstverständlichkeit den Computer hoch und öffnete das Videokonferenz- Programm, als hätte man nie anders unterrichtet.

Meiner anfänglichen Skepsis zum Trotz musste ich schon bald feststellen, dass diese Unterrichtsphase auch zahlreiche Vorteile und Chancen für uns Lehrer bot. Natürlich kann man analogen Unterricht in der Klasse nicht mit der digitalen Variante vergleichen - der direkte Kontakt zu den Schülerinnen und Schülern, die soziale Beziehung im Face-to-face-Unterricht ist natürlich durch nichts zu ersetzen; aber gerade bei der Effektivität des Unterrichts punktet eindeutig der Online-Unterricht: Störungen während des Unterrichts kommen selten vor, weil alle Schülerinnen und Schüler ihre Mikrophone nur einschalten, wenn man ihnen das Wort erteilt. Niemand wird durch das Verhalten seiner Mitschülerinnen und Mitschüler in der Klasse abgelenkt und alle sind fokussiert auf den Bildschirm - und damit auf die Lehrkraft und den Stoff. Dank der Verwendung von Kopfhörern gewinnt der Unterricht auch akustisch an Qualität, was im Unterricht der Fremdsprachen ein Pluspunkt sein kann.

Nicht nur Vorteile als "Online-Lehrerin"

Nun bringt das Leben als "Online-Lehrerin" natürlich nicht nur Vorteile mit sich: Neben dem bereits angesprochenen fehlenden direkten Kontakt zu den Schülerinnen und Schülern haben mir vor allem die Arbeitszeiten Probleme bereitet. Einen Feierabend im klassischen Sinne gab es nicht mehr - jeder war schließlich jederzeit und überall erreichbar. So waren auch Videokonferenzen in den Abendstunden durchaus leider keine Seltenheit. Ein weiterer Punkt, der meine Begeisterung für das Unterrichten in Videokonferenzen dämpfte, waren übermotivierte Eltern, die neben ihren Sprösslingen im Kinderzimmer saßen und ihnen die Antworten und Lösungen Wort für Wort vorsagten. Auch das Korrigieren von Schülerarbeiten fiel mir schwer; mit einem Stift in Schülerarbeiten Fehler zu markieren und zu korrigieren gehört zum Lehreralltag - diese Arbeit am Computer vorzunehmen fand ich jedoch sehr umständlich und zeitintensiv.

Mutiger und gelassener im Umgang mit digitalen Medien

Und was bedeuten nun diese neuen Erfahrungen für meinen Alltag als Lehrerin? Ich bin im Nachhinein froh darüber, mit solch einer Situation konfrontiert worden zu sein. In meinem normalen Berufsalltag als DaF-Lehrerin an einer privaten türkischen Grund- und Mittelschule (1. bis 8. Klasse) geht es in der Regel so stressig zu, dass man aus Zeitgründen bei der Unterrichtsvorbereitung häufig den bereits bekannten Weg wählt. Neue Methoden und Techniken bleiben dabei zu oft auf der Strecke. Natürlich wurde an den IELEV Schulen IT immer schon auch im analogen Klassenzimmer eingesetzt - aber eben immer wieder dieselben Tools (... mit denen man mittlerweile auch im Schlaf hätte arbeiten können!). Wie viele Fortbildungen hatten wir bereits zur Thematik "Unterrichten mit digitalen Tools und Medien"? Und war ich nicht immer nach jeder Fortbildung total begeistert von den Möglichkeiten, die diese bieten? Im Endeffekt machte mir der intensive Arbeitsalltag aber oft einen Strich durch die Rechnung, wenn es darum ging, das Gelernte auch tatsächlich im Unterricht umzusetzen. Jetzt aber war ich als Lehrkraft gezwungen, mich mit all den Tools und Apps auseinanderzusetzen - denn nun MUSSTE ich sie anwenden, um den Unterricht für die Schülerinnen und Schüler abwechslungsreich und effektiv zu gestalten. Und das Beste daran: Bei der Arbeit mit den neuen Tools bekam ich schnell Routine und merkte, wie nützlich und wertvoll diese digitalen Helfer doch sind!

Ich möchte viele Programme und Internetseiten, wie zum Beispiel Padlet, Mentimeter, Nearpod oder Wordwall in meinen Unterrichtsstunden - egal ob analog oder digital - nicht mehr missen und bin mittlerweile sehr froh über den "Anstupser", der mich aufgrund der Corona-Pandemie dazu gebracht hat, mutiger und gelassener im Umgang mit digitalen Medien zu sein.

Katrin Fast

Katrin Fast ist Fachleiterin Deutsch an der Grund- und Mittelschule, Klassen 1 bis 8, der IELEV (Erziehungsstiftung der Ehemaligen des Istanbul Erkek Lycée) in Istanbul, einer Deutschen Auslandsschule.

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Stand 29.10.2020