"Deutschland ist toll, aber wir wollten zeitweise auch mal woanders leben"
Zunächst war ich selbst überrascht, auf welch hohem Niveau Barranquilla steht, es gibt Einkaufszentren nach US-Vorbild, einen karibischen Strand mit Palmen und eine große Auswahl an Wohnungen, denn in den letzten Jahren war wie verrückt gebaut worden. Zuvor kannte ich Teile der kolumbianischen Küste und dachte, dass Barranquilla genauso arm sei wie diese kleineren Küstenstädte. Das war also eine positive Überraschung.
Wir reisten zusammen als Familie aus und hatten noch genau vier Tage, bis das nächste Schuljahr begann. Zunächst kamen wir in einem Apartmenthotel unter, was gut war, da man sich natürlich zu Beginn noch nicht so gut auskennt. Allerdings waren die ersten Tage so heiß, dass selbst die Klimaanlagen kaum ausreichten, um eine angenehme Raumtemperatur herzustellen und der kleine Pool hatte eine Thermalwassertemperatur. Ein Mitglied des Schulvorstands unterstützte uns bei der Wohnungssuche, aber trotz der Vielzahl an Wohnungen war es immer noch zeitraubend, die richtige zu finden, zumal unsere Tochter uns das Versprechen abgenommen hatte, nur dorthin zu ziehen, wo ein großes Schwimmbad war.
Unsere Tochter spricht wie eine Einheimische
Unsere Tochter war zum Zeitpunkt der Ausreise sieben Jahre alt und hatte gerade die erste Klasse beendet. Da aber an der hiesigen Schule die erste Klasse eine Übergangsklasse vom Kindergarten zur Grundschule (Primaria) ist, wollten wir sie sofort in die dritte Klasse hochstufen lassen, damit sie nicht nochmals die Inhalte ihrer alten Schule wiederholen musste. Dies gestaltete sich überraschend schwierig. Sie musste Tests in Mathematik und anderen Fächern ablegen, damit sie aufrücken konnte. Da unser Kind anfangs kein Spanisch sprach, bekam sie außerdem für den Unterricht und Prüfungen jeweils Praktikanten zugeteilt, die ihr Unterrichtsinhalte und Prüfungsfragen sowie ihre Antworten übersetzten. Es gestaltete sich jedoch schwierig, für sie eine Lehrkraft zu bekommen, die ihr beim Spracherwerb in Spanisch helfen konnte. Auch konnten sich nicht alle Lehrerinnen und Lehrer in ein Kind hineinversetzen, das zunächst noch sprachliche Verständnisschwierigkeiten hat. Inzwischen gibt es aber mehr deutsche Kinder an der Schule, sodass es für diese inzwischen leichter geworden ist.
Ab dem zweiten Jahr waren zudem diese Probleme großteils überwunden und heute spricht unsere Tochter wie eine Einheimische und verbessert ständig ihren leidgeprüften Vater, der es nie auf dieses Sprachniveau bringen wird. Auch hatte sie keine Probleme mit den Unterrichtsinhalten oder mit der Klassengemeinschaft. Ganz im Gegenteil, viele ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler versuchten, sie in die Klasse zu integrieren, und als sie sahen, dass sie sich für Tiere interessierte, zeigten sie ihr die Leguane der Schule, damit sie glücklich war.
Ein typischer Arbeitstag
Ein typischer Arbeitstag vor der Covid-Krise sah so aus, dass man als Lehrer ab etwa 7.00 Uhr in der Schule sein musste, der Unterricht begann um 7.30 Uhr und dauerte mit Mittagspause und Nachmittagsunterricht für die Schülerinnen und Schüler bis 15.00 Uhr und die Lehrerinnen und Lehrer von Montag bis Donnerstag bis 16.00 Uhr. Erfreulich sind jedoch die im Vergleich zu Deutschland relativ kleinen Klassen mit ca. 15-20 Schülerinnen und Schülern. Für alle deutschen Lehrkräfte war der Unterricht anfangs eine Umstellung, denn es genügt nicht, einfach nur zu unterrichten, sondern man muss sprachliche Schwierigkeiten aufgreifen und zunächst für ein Grundverständnis bei Texten oder Aufgaben sorgen.
Überrascht hatte mich zunächst, wie gut die Schule technisch ausgestattet ist. In jedem Klassenraum gibt es Beamer und interaktive Tafeln. Dazu kommen mehrere Computerräume und große interaktive Bildschirme. Wenn man von einer deutschen Schule mit Tafel und Kreide kommt, wo man sich seinen eigenen Beamer kaufen musste, ist das eine erfreuliche Umstellung, zumal der Schulvorstand auf eine moderne technische Ausstattung Wert legt und dementsprechend immer wieder investiert. Für andere Lehrkräfte ist auch die Großzügigkeit der Anlage mit mehreren Sportplätzen, einer Mensa und einem großen Schwimmbad eine große Überraschung.
Das Leben in Barranquilla
An sich kann man in Barranquilla gut leben. Viele deutsche Lebensmittel bekommt man zwar nur bei genaueren Ortskenntnissen, aber man bekommt sie. Die Kolumbianer an der Küste, die "Costeños", sind sehr nett und hilfsbereit, besonders zu Deutschen. Daher haben wir uns von Anfang an sehr wohl gefühlt. Mit Covid war es jedoch ab März belastend, denn es galt in den ganzen Monaten eine totale Ausgangssperre. Zum Einkaufen konnte man einmal in der Woche die Wohnung verlassen, wurde am Eingang eines Supermarktes registriert und die Körpertemperatur gemessen. Ansonsten waren alle Restaurants, Geschäfte und sogar die Schwimmbäder in den Wohnanlagen geschlossen. Seit September sind zwar die Geschäfte wieder offen und man kann sich frei bewegen, doch es ist klar, dass die Situation noch nicht so wie in Deutschland sein kann.
Mich überrascht immer wieder, wie gelassen die Kolumbianer mit dieser Krise umgehen, obwohl die Zahlen der Arbeitslosen enorm gestiegen sind, allein in der Hauptstadt sollen 1,2 Mio. Menschen ihre Arbeit verloren haben, und es mit Sicherheit vielen Menschen nicht gutgeht. Da gerade die Costeños außerdem bekannt für ihre Feste und ihre Tanzwütigkeit sind, kann man sich vorstellen, dass auch hier Covid eine große Belastung für alle ist, zumal Barranquilla einen der schönsten Karnevale der Welt hat.
Wolfgang Seufert
Wolfgang Seufert unterrichtet seit dem Jahr 2016 als Auslandsdienstlehrkraft Geschichte an der Deutschen Schule Barranquilla, Kolumbien. Er ist Koordinator für den Deutschsprachigen Fachunterricht (DFU) sowie Geschichte.
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Stand 10.11.2020