Bei meinen Nachbarn
Schon früh wollte ich raus und die Welt entdecken. Mein Volleyballtrainer erzählte mit großer Begeisterung von seinen Auslandserfahrungen in den USA. Das fesselte mich so sehr, dass ich jeden Pfennig und später Cent zweimal umdrehte, um mir diesen Wunsch eines Auslandsschuljahres in den USA 2005/2006 zu erfüllen. Ein Jahr, das mich sehr prägte. Menschen aus anderen Ländern, ihre Sprache und Kultur faszinierten mich auch im Fremdsprachenunterricht in der Schule. Russisch war wie Musik in meinen Ohren. Umso besser, dass die Sprache unseres Nachbarlandes slawischen Ursprungs ist.
Als sich unsere Volleyballmannschaft durch den neuen Hallenstandort in Pieńsk (Polen) erweiterte, kam es zu einer ersten Kontaktaufnahme mit meinem Nachbarland. Dies war kein Problem, da mein Heimatort direkt an der Grenze liegt und wir über eine Fußgängerbrücke zur Trainingshalle laufen konnten. Immer mehr überkam mich das Verlangen, die Menschen und die Kultur Polens kennenzulernen. Nach dem Referendariat stand ich dann vor der Entscheidung, Mexiko Stadt oder Warschau. Warum ich mich für die Willy-Brandt-Schule (WBS) entschied, erfahrt ihr, wenn ihr weiterlest.
Angekommen an der Willy-Brandt-Schule in Warschau
Was bedeutet es, angekommen an der WBS zu sein? Es bedeutet: Teil eines großartigen Kollegiums zu sein und Schülerinnen und Schülern aus der ganzen Welt einen Ort zum Lernen und Entdecken zu bieten. Es bedeutet auch, ein Verständnis entwickelt zu haben, wie sich Mentalitäten vermischen, wie Menschen dadurch miteinander arbeiten und wie der Gemeinschaftssinn mit dem Ziel, alle Schülerinnen und Schüler zum Abitur zu führen, ganz oben steht. Die Stimmung im Lehrerkollegium ist motivierend und belebend. Man will einfach mitmachen, denn Unterstützung durch die Kolleginnen und Kollegen folgt sogleich. Einer der Gründe, warum Warschau bei meiner Auswahl auf Position eins lag.
Wer möchte, kann sich in einer morgendlichen Kaffeerunde auf den Tag einstimmen. Dafür kommt der ein oder andere Kollege schon einmal etwas früher zur Schule. Das Lehrerzimmer ist in diesem Fall nicht nur Arbeitszimmer, sondern auch Rückzugsort, um die Energiereserven vor dem Schulstart aufzufrischen.
Diesen frischen Start haben auch die Klassenzimmer in den letzten Jahren erhalten. Die Digitalisierung modernisiert unseren Unterricht, der auf eine starke Methodenvielfalt setzt. Neben Computern und Beamern oder interaktiven Tafeln ist die Schule dabei, Tablets für Klassen bereitzustellen. Ein abwechslungsreicher digitaler und analoger Unterricht bieten den Schülerinnen und Schülern an der WBS die Möglichkeit, über alle Sinne zu lernen, um ihr Wissen bestmöglich zu erweitern. Der Gemeinschaftssinn ist nicht nur in der Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern spürbar, sondern auch, wenn es um die Eltern geht. Um den Wünschen der Eltern in Bezug auf die Ausbildung ihres Kindes gerecht zu werden, arbeiten die Kolleginnen und Kollegen der WBS zielgerichtet gemeinsam an vereinbarten Zielen zwischen Eltern-Kind-Lehrer. Das ist gar nicht so leicht, denn als teils private und teils staatlich unterstützte Schule gelten polnische und deutsche Vorgaben an unserer Schule. Diesen Spagat zwischen deutscher und polnischer Bürokratie zu stemmen, fordert das Verständnis von uns und im besonderen Maße das der Eltern. Daher steht die Zusammenarbeit an oberster Stelle. Für Projektideen gilt dies ebenfalls. Sie werden gemeinschaftlich vorbereitet und durchgeführt, um den Schülerinnen und Schülern auch außerhalb der schulischen Curricula die Welt näherzubringen.
Außerhalb der Schulwände kommt der Gemeinschaftssinn ebenfalls zum Tragen. Ein jährlich organisierter Kollegenausflug bietet die Möglichkeit, neue Lehrerinnen und Lehrer kennenzulernen und sich mit ihnen auszutauschen. Zum Jahreswechsel lädt der Schulvorstand zu einem Neujahrsessen ein und mit der Schuljahresabschlussfeier am Donnerstag vor dem letzten Schultag wird das Jahr gebührend abgerundet. Eben diese Aktionen (Kollegenausflug, Neujahrsessen und Schuljahresabschluss) ermöglichen einen engeren Kontakt der Kolleginnen Kollegen und haben mir Gründe für die Verlängerung meines Lehrdienstes im Ausland gegeben, sodass aus meinen geplanten zwei Jahren als Bundesprogrammlehrkraft in Polen vier Jahre wurden.
Moderne europäische Großstadt
Als ich 2017 nach Warschau ging, kannte ich die Stadt nur vom Hörensagen. Ziel war es, diese mir unbekannte Hauptstadt meines Nachbarlandes kennenzulernen. Schnell stellte sich heraus, dass sich Warschau definitiv als moderne europäische Großstadt bezeichnen kann, noch mehr jedoch der Stadtteil Wilanów, in dem die Schule liegt und mein Zuhause war. Wilanów wurde in den letzten Jahren aus dem Nichts aufgebaut und imponiert nun mit viel modernem Charme. Das Königsschloss (besonders in der Weihnachtszeit zu empfehlen), Restaurants, Fahrradwege, die Nähe zur Weichsel, eine sehr gute Infrastruktur, die Nähe zu einem Park im Süden und viele junge Familien geben das Gefühl, in einem pulsierenden Viertel zu leben. Die wichtigsten Geschäfte sind in der Umgebung und somit ist ein Ausflug mit dem Bus, der direkt in die Altstadt oder zum Hauptbahnhof fährt, eine schöne Ergänzung zum Alltag in dem südlichen Teil Warschaus.
Für mich gab es jedoch auch Momente der Verwunderung. So überraschte mich die Tatsache, dass die englische Sprache an manchen wichtigen Anlaufpunkten (zum Beispiel dem Hauptbahnhof) nicht bei jeder Fachkraft vorhanden ist. Daher meine Empfehlung: die polnische Sprache trotz ihrer Schwierigkeiten zu erlernen und anzuwenden. Die strahlenden Gesichter, wenn ich Dziękuję (ich danke) oder Proszę (ich bitte) sagte, waren die Mühen wert. Polnisch zu lernen, erfordert Freude am Vokabellernen, Durchhaltevermögen und Arbeitseinsatz. Für mich und meine deutschen Kolleginnen und Kollegen hat sich das auf alle Fälle ausgezahlt. Es ermöglicht eine intensivere Teilhabe am Leben in Polen.
Negativ fiel mir auf, dass die polnische Hauptstadt besonders im Herbst und Winter von einer großen Smogwolke umhüllt wird. Ich persönlich fand es immer sehr unangenehm in meiner Wohnung und hatte mir daher einen Luftreiniger gekauft. Schlafen bei offenem Fenster war für mich bei Smog nicht denkbar, doch jeder empfindet das etwas anders. Mir hat der Luftreiniger an solchen Tagen sehr geholfen.
Reisemöglichkeiten
Um diesem tristen Wetter zu entfliehen, hat sich die schnelle Anbindung nach Deutschland für mich auf alle Fälle gelohnt. Reisemöglichkeiten nach und von Warschau gibt es zahlreiche. Mit dem Flixbus ist die Fahrt über Görlitz im Frühling, Sommer und Herbst eine Fahrt entlang von Rapsfeldern, kleinen und großen Waldregionen und Städten. Im Winter wirkt es alles etwas trister, wie auch anderswo. Die Zuganbindung über Frankfurt Oder nach Warschau ist problemlos und super angenehm. Eine Sitzplatzreservierung in einem der polnischen Züge ist obligatorisch.
Glücklicherweise gibt es in den polnischen Zügen auch kostenfrei Tee (herbata), Kaffee (kawa) oder Wasser (woda). Das Auto ist wohl das flotteste Reisemittel, um in den Osten Polens vorzudringen. Im Gegensatz zur A2 (hier fällt Maut an) sind die A4 und S8 kostenfrei für Autofahrer und bieten eine solide und zügige Fahrt nach Deutschland und zurück. Je nach Abflughafen werden Flüge von Deutschland nach Polen und zurück angeboten. Für mich geht es nach vier Jahren mit dem Bus zurück nach Deutschland; ein vorerst letztes Mal die Landschaftszüge Polens genießen.
Entdecken und (Be)Staunen
Fazit meiner vier Jahre Warschau: Die Stadt lädt zum Entdecken und (Be)Staunen ein, zum Erholen und Wohlfühlen. Die Schule bietet allen Lehrerinnen und Lehrern die Chance sich zu entfalten, Ideen umzusetzen und im Interesse der Schülerinnen und Schüler neue Projekte zu initiieren und umzusetzen. An Stolpersteinen im Weg arbeitet man hier gemeinsam, sodass jede Herausforderung an der Willy-Brandt-Schule nie alleine zu bewerkstelligen gilt. Im Team zum Ziel! - So und genau so habe ich das Team hier kennenlernen dürfen.
Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen für eine unvergessliche Zeit, für die tollen Ideen, für die Unterstützung, für die Geduld und besonders für eine überwältigende Zusammenarbeit.
Wenn Du Interesse am Land Polen, an den Menschen und ihrer Geschichte hast, die polnische Sprache lernen willst, von einem Kollegium umgeben sein willst, das auf Zusammenarbeit und Unterstützung setzt und selbst einen Teil dazu beitragen willst, dass Schule moderner und lebendiger wird, dann bist du bei uns an der WBS genau richtig.
Ich danke herzlichst! Alles Gute! Dziękuję ślicznie! Wszystkiego dobrego!
Elisabeth Hänchen
Grundschullehrerin Elisabeth Hänchen unterrichtete von 2017 bis 2021 als Bundesprogrammlehrerin an der Willy-Brandt-Schule Warschau.
Seitenfunktionen
Stand 06.12.2021